
Oh, Sie sind noch da? Na gut, aber sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt ... Zunächst einmal die äußeren Fakten: Bican Erbasli ist ein 21-jähriger Abiturient, den die Polytechnische Gesellschaft Frankfurt zum diesjährigen Stadtteilbotschafter für den Frankfurter Berg erkoren hat und der an diesem Abend die Frucht seiner fast einjährigen Arbeit vorstellt, einen 3 Minuten langen Kurzfilm (hhmm, kann ein Kurzfilm eigentlich "lang" sein ...) unter dem Titel "Der schönste Berg". Darin werden Bürgern des Frankfurter Bergs solche Fragen gestellt wie "Wie finden Sie den Titel dieses Films?" oder "Wie nehmen Sie Ihren Stadtteil wahr?" Vorneweg gibt es Sekt, Grußworte und viel Lob, im Anschluß eine Podiumsdiskussion, in der vier Diskutanten noch mal dieselben Fragen gestellt werden wie im Film. Anschließend steht man dann beim kalten Buffet und diskutiert noch dieses und jenes. Der Saal der AWO am Frankfurter Berg ist jedenfalls rappeldicke voll und das Publikum ist so gemischt, wie man das bei anderen Veranstaltungen selten erlebt.
So, jetzt kommt der schwierige Teil: Wie fand ich den Film? Wenn man einmal davon absieht, daß 20 Minuten Grußworte, Einführung und viel Vorschußlob schon eine Menge sind für ein Werk von gerade einmal 3 Minuten, dann bleibt ein Film, in dem einigen Bewohnern des Frankfurter Bergs jeweils drei Fragen gestellt werden, die ich nicht besonders originell fand. Nach meinem Empfinden haben die Antworten auch kein neues und schon gar kein vollständiges Bild des Stadtteils entworfen. "Nun gut", kann man einwenden, "das kann ein Kurzfilm ja auch gar nicht leisten!". Das mag stimmen, aber ich meine von Herrn Erbasli verstanden zu haben, daß das der selbstgewählte Anspruch war. Der Titel hätte ja zum Beispiel auch lauten können "Mein Frankfurter Berg", "Wie ich den Frankfurter Berg erlebe" oder "Frankfurter Berg - eine Liebeserklärung", aber einen gewissen Absolutheitsanspruch habe ich sowohl aus den einführenden Worten wie auch aus dem Auftreten von Herrn Erbasli herausgehört. Er wolle Diskussionen anregen, sagt Herr Erbasli, er habe nunmehr seinen Teil getan.
Uuii, darf man das? Darf man jemandem, der ganz offenkundig sehr bemüht ist, in und für "seinen" Stadtteil etwas zu erreichen, so in die Parade fahren? Darf man jemanden, der sicherlich ein Sympathieträger ist und erkennbar eine Menge Arbeit in "sein" Produkt investiert hat, so angehen? Ich habe mich dazu durchgerungen das zu tun, was Herr Erbasli nach eigenem Bekunden wollte: Ich habe mir eine Meinung gebildet und trage zur Diskussion bei. Ich fand den Film im günstigsten Fall belanglos. Er hat nichts "aufgedeckt", nichts zu Tage gefördert oder angesprochen, das nicht allen, die sich regelmäßig und fortgesetzt für den Frankfurter Berg engagieren, nicht lange gewußt hätten, an dem nicht regelmäßig und fortgesetzt von allen, die sich engagieren, gearbeitet würde. Ich glaube nicht, daß ich Herrn Erbaslis Selbstwertgefühl durch diese Meinungsäußerung allzusehr erschüttere, selbst für den unwahrscheinlichen Fall, daß ihm dieses Elaborat zur Kenntnis gelangt. Ich denke, Herr Erbasli hat einen hohen Anspruch an sich selber - presseöffentlich läßt er verlauten, "Ich glaube, ich habe den Impuls dafür gegeben, dass der Frankfurter Berg noch lebendiger wird" - und dafür verneige ich mich ausdrücklich vor ihm, aber dann muß er sich auch an diesem Anspruch messen lassen, dann genügt "for all abilities" eben nicht.
Die anschließende Podiumsdiskussion ist nicht ganz ohne, denn da wird zum Beispiel postuliert, noch vor 12 Jahren habe man in den in der Zeit des Dritten Reiches gebauten Häusern am Frankfurter Berg bei deren Bewohnern den Geist dieser Zeit noch deutlich spüren können. Das findet im Publikum, in dem auch viele Menschen sitzen, die sich seit Jahren in den verschiedensten Organisationen am Frankfuter Berg engagieren, nicht nur Zustimmung, um es vorsichtig zu sagen. Auch die Anklage, es fehle am Frankfurter Berg an einem Spielplatz, auf dem sich Kindern einmal austoben könnten, wird mit einem gewissen Murren quittiert, hat doch der Vereinsring erst kürzlich genau einen solchen Spielplatz eingerichtet.
Einer der jüngeren Diskutanten, der selber auf seinen Migrationshintergrund hinweist, attestiert dem Frankfurter Berg sehr zu meiner Verwunderung ein erhebliches Problem mit Drogen und Drogendealern. Daß der Frankfurter Berg hier ein größeres Problem hätte als irgendein anderer Frankfurter Stadtteil, als irgendein Stadtteil in irgendeiner deutschen Großtstadt, ist mir neu, aber was weiß ich schon ...
Meine Verwunderung schlägt in schiere Sprachlosigkeit um, als der Diskutant den Untergang des Abendlandes zu beklagen beginnt, die Jugend, der er selber so lange noch nicht entwachsen ist, als problematische Klientel ausmacht, und nach mehr Polizei ruft. Höre ich da etwa jemanden mit verächtlichem Ton "Law and Order!" zwischen den Zähnen hervorpressen? Nein, natürlich nicht - und dann schießen mir plötzlich Thilo Sarrazin und Erika Steinbach durch den Kopf und ich frage mich, ob es vielleicht heute nicht mehr so wichtig ist, was jemand sagt, sondern nur welche Gesinnung ihm dabei unterstellt wird. (Jenseits der Frage nach der historischen Richtigkeit ihrer Aussage zur Mobilmachung Polens ist offenbar klar, daß Frau Steinbach diese sachliche Aussage nur so-und-so gemeint haben kann - und schon läuft die Entrüstungsmaschine auf vollen Touren. Jenseits des wissenschaftlichen Sinns oder Unsinns der Sarrazin'schen Aussagen zum Thema Genetik, von der er erkennbar nicht viel Ahnung hat, ist ja klar, welche Bedeutung er diesen Aussagen beilegt, dieser rechte Drecksack. Mehr muß man nicht wissen, um gegen den Strohmann, den man sich gerade selber gebaut hat, zu Felde zu ziehen.) Und so kann denn der junge Diskutant mit marrokanischem Migrationshintergrund ungestraft "die Jugendlichen" kritisieren und mehr Polizeirepression gegen Drogendealer fordern, denn man unterstellt ihm die richtige Gesinnung, und damit ist das dann auch in Ordnung. Nicht daß mich einer falsch versteht: Ich kann mich dieser Position uneingeschränkt anschließen, ich wäre nur als CDU-Mitglied auch gerne mal in der komfortablen Lage, so etwas sagen zu können, ohne weitschweifige, zusätzliche Erklärungen voller Relativierungen vorwegschicken zu müssen und trotzdem geteert und gefedert zu werden.
Im Anschluß an die Podiumsdiskussion steht man gemütlich bei Sekt und Häppchen beisammen - nach dem Bekunden eines Vertreters der Polytechnische Gesellschaft hat die Stiftung Geld - und ich höre verschiedentlich die Ansicht, es sei doch eine gute Veranstaltung gewesen, die "den jungen Leuten" im Publikum einmal Gehör verschafft habe. Tatsächlich habe ich noch selten in einer anderen Veranstaltung ein so gemischtes Publikum gesehen - aber ob wir einen dieser jungen Menschen in einer Bürgerfragestunde des Ortsbeirats wiedersehen? Oder beim Oktoberfest in der Allerheiligsten Dreifaltigkeit? Oder beim Weihnachtsmarkt auf dem Schulhof der Albert-Schweitzer-Schule? Oder beim Kükenfest des Kleintierzuchtvereins? Oder bei der Einweihung des Kunstrasenplatzes der TSG Frankfurter Berg? Oder beim Sommerfest von ProWoKultA? Oder bei irgendeiner der zahlreichen Veranstaltungen für Jung und Alt am Frankfurter Berg? Irgendetwas sagt mir: Nein! Die Mühen der Ebene ...
Unglaublich, Sie haben diese Doktorarbeit bis hierher durchgelesen? Haben Sie nichts Vernünftiges zu tun?
Projekt StadtteilBotschafter